Nautischer Dreier – Farol Cabo São Vicente, Cabo Sardão und Cabo Sines.
Der Leuchtturm Cabo Sardão liegt am westlichsten Punkt der Region Alentejo Litoral im Nirgendwo. Das Kap hat zwei offizielle Namen: Ponta do Cavaleiro oder Cabo Sardão, ganz nach belieben. Irgendwie ist das Standard an der portugiesischen Küste und fast überall so, auch bei Stränden. Warum, das muss noch erforscht werden. Bisher konnte niemand Auskunft geben.
Bis 1950 eine Strasse an das Kap gebaut wurde, um den Leuchtturm mittels Dieselaggregat zu elektrifizieren, wurde dem Leuchtturm Wärter die Post durch einen Kurier per 20 Km langem Fussmarsch zugestellt. Auch seine Versorgung war schwierig, denn an den steilen Klippen war es unmöglich, eine Mole anzulegen. Vom Kap blickt der Besucher 68 m in die Tiefe der wilden Bucht des Ponta do Cavaleiro, an deren Klippen energievolle Atlantik Wellen brechen. Die logistischen Probleme müssen gross gewesen sein, denn er wurde bis 1950 mit Petroleum betrieben. Spanien nutzte zu dieser Zeit bereits seit gut 30 Jahren leistungsfähige Acetylen-Flasher mit Fresnel Linsen, davor kam Olivenöl zum Einsatz.
Die Entscheidung, an diesem einsamen Kap einen Leuchtturm zu errichten, wurde 1883 gefasst. Eine Zeit, in der auch Spanien seine gesamte Küstenlinie mit neuen Methoden exakt vermessen lies, zu einem guten Teil vom französischen Mathematiker und Seemann Jean-Charles de Borda. Den wird niemand kennen, aber wer es erträgt, den Eurovisions Songcontest zu verfolgen, kommt mit ihm unwissentlich in Kontakt: Er entwickelte das Borda Verfahren, das dort für die Abstimmung eingesetzt wird. Der Sinn der Vermessung war, spanische Küsten systematisch mit einem Leuchtfeuer Netz zu überziehen, um die Handelsrouten sicherer zu gestalten. Auch in diesen Zeiten war es noch üblich, möglichst lange entlang der Küste zu navigieren und so spät wie möglich auf die offene See zu laufen. Ist der Himmel bedeckt, nutzt der Sextant wenig, dann heisst es koppeln, das ist ungenau und in in anspruchsvollen Revieren riskant.
Auch Portugal hatte ähnliches im Sinn. Das Cabo São Vicente im Süden des Cabo Sardão, der südwestlichste Punkt kontinental Europas und daher Tourismus Magnet (s.u.), war bereits seit 1520 rudimentär befeuert. Im Norden das Cabo Sines seit 1880 befeuert, nur dazwischen war es dunkel. Das Cabo Sardão bot sich als westlichster Punkt der Region Alentejo Litoral an, das die Entfernung Cabo São Vicente und Cabo Sines in 2/3 zu 1/3 teilt. Dort sollte ein Leuchtturm aufgestellt werden, um die Route zwischen Faro, Lagos, Sines, Setúbal und Lisboa durchgehend zu befeuern.
Eine portugiesische Redensart lautet: „Portugal é Lisboa eo resto é paisagem.“ (Portugal, das ist Lissabon, der Rest ist Landschaft.) Das trifft auf die Region Alentejo zu, besonders auch auf das Gemeindegebiet Odemira, auf dem das Cabo Sardão liegt. Die Siedlung, die nahe des Leuchtturms entstand, trägt die Postleitzahl 7630-574. Das reicht für die Post, keinen Namen, Landschaft Cabo Sardão eben. Erreicht wird die Siedlung, wenn von der N393, die von Sines nach Lagos genommen wird, auf die CM1124 abgebogen wird. Über diese schmal, teils auf einem Damm geführt zwischen landwirtschaftlichen Flächen, wird auf sechs Kilometern der Leuchtturm am Kap erreicht. Überall lauern tiefe Schlaglöcher, die bei höherer Geschwindigkeit einen Achsbruch garantieren. Vor Ort, in 7630-574, findet sich überraschend ein kleiner, hübscher ländlicher Tourismusbetrieb, Moita Nova Equestre, der mit Reiturlauben lockt. Unweit eine sandige Badebucht, die durch eine steile Treppe zu erreichen ist: Praia do Cavaleiro. Das Rocamar, ebenso überraschend, wartet mit Seafood und zarten Steaks auf. Kochen können sie, die Portugiesen, auch in der Landschaft. In Lateinamerika gelten sie als die Besten in der Küche. Noch ein winziger Supermarkt mit dem Nötigsten und eine Bar, dann ist 7630-574 gesehen. Ein netter, naturbelassener Fleck für Urlauber, die ein dickes Buch schreiben wollen oder rekonvaleszente Nervenleidende.
Die Gemeindehauptstadt Odemira hat, ausser zwei Windmühlen, auch bei genauerem Hinsehen nichts sehenswertes im Angebot. Das monumentale Bildhauer Werk Cante Alentejano, ist ausser gross nur scheusslich und scheint von der russischen Revolutionskunst der Stalin Ära inspiriert worden zu sein. Hier wäre Christo gefragt. Ein Lichtblick ist Villa Nova de Milfontes. Den Rio Maria von Odemira Richtung Küste folgend, wird in einem Mündungsdelta am Atlantik auf Villa Nova de Milfontes gestossen. Das haben Surf Novizen, digitale Nomaden, Teilzeitaussteiger, vegane Hobby Yogies, Sinnsuchende und ähnliches Klientel entdeckt und bringen Zeitgeist und Geld in den Ort. Das tut ihm sichtlich gut. Gemein hat Milfontes mit Odemira nur eines: Es gibt nichts zu sehen. Aber es wartet mit netten Cafes und Bars, Surfschulen, Surfcamps und was eben sonst zeitgeistig ist auf. Im Casco wird es sogar richtig gemütlich. Das gefällt. Um die Ecke nördlich in Porto Covo oder Sines wird all dies nicht gefunden. Google Maps weist an der Mündung des Rio Maria den Farol de Milfontes aus. Nein, das geht nicht als Leuchtturm durch, auch wenn der Leuchtkörper an einem eigenartigen Quader angeschraubt wurde. Ein Hilfsfeuer, gerade so, macht aber nichts, die Sonne geht dort genauso schön unter, wie am Cabo Sardão. Dann ist dort gemeinschaftliches Chillen der Zeitgeist Community angesagt.
Farol do Cabo Sardão – ein Leuchtturm auf der falschen Seite.
Mastermind des Farol do Cabo Sardão war Sr. Pereira da Silva, der dies 1866 vorschlug. Dann wurde erst einmal gerechnet und diskutiert, ob es ein Leuchtfeuer zweiter oder dritter Klasse werden solle. Die Technik des Leuchtfeuers bestimmt ausschlaggebend, in Kombination mit der Feuerhöhe, die Reichweite. Da der Bau auf einer Klippe von 68 m Seehöhe geplant war, konnte der Turm mit 17 m klein gehalten werden, denn in Summe sind 85 m eine passable, wenn auch keine überragende Feuerhöhe. Zusammen mit der ausgewählten Technik, wurde es dann doch nur ein Leuchtfeuer dritter Klasse. Das ursprüngliche Setup bestand aus einer Petroleum Lampe mit einer 500 mm Linse. Bei Petroleum Lampe darf an keine herkömmliche gedacht werden, in der an einem Docht Öl abbrennt. Es handelte sich um eine Starklichtlampe. Das Öl wurde erst in gasförmigen Zustand entzündet. Die resultierende höhere Verbrennungstemperatur machte das Licht nicht nur heller, sondern je nach Temperatur weissbläulich und nicht gelb, ebenso entscheidend für die Reichweite. Eine derartige Starklichtlampe konnte nicht einfach entzündet werden. Der Leuchtturm Wärter hatte vorher einiges zu tun, um das System auf Betriebstemperatur zu bringen. Mit der Elektrifizierung 1950 wurde es dann komfortabel, die Leistung stieg auf 3.000 Watt. Den Strom lieferte ein Dieselaggregat. 1984 erfolgte der Anschluss des Leuchtturms an das öffentliche Stromnetz. Neue Lampentechnik ermöglichte dieselbe Lichtausbeute bei 1.000 Watt. Seitdem beträgt die Reichweite bei idealen Bedingungen 23 nautische Meilen (41,87 Km).
Obwohl der Bau des Farol do Cabo Sardão bereits 1866 diskutiert wurde und prinzipiell als beschlossen galt, dauerte es bis 1902, bevor das Projekt konkreter wurde. In Portugal formierte sich in diesem Jahr eine Leuchtturm Kommission. Am 15. April 1915, wanderte der Lichtkegel des Farol do Cabo Sardão das erste mal über den nächtlichen Himmel des Atlantiks. Ein Blick auf ähnliche Bauprojekte zeigt, dass es durchaus normal ist, wenn von der Idee bis zur Realisierung Jahrzehnte vergehen. Ungewöhnlich ist aber eines beim Leuchtturm am Cabo Sardão: Der Grundriss. Der Leuchtturm befindet sich nicht seeseitig, sondern landseitig hinter den Betriebsgebäuden. Das ist wohl absolut einzigartig. Es hält sich bis heute das hartnäckige Gerücht, dass der ausführende Baumeister den Plan 180 Grad verdreht hielt. Eine Besonderheit weisen portugiesische gegenüber spanischen Leuchttürmen auf: Sie sind mit Kacheln verkleidet. Das ist zwar teurer, macht ihre Fassaden aber deutlich widerstandsfähiger gegen die aggressive Seeluft. Langfristig könnte das günstiger sein.
Sunset spektakulär – die Aussichtsterrasse am Ponta do Cavaleiro.
Der Ponta do Cavaleiro bzw. das Cabo Sardão, liegt an der Costa Vincentina, entlang der ein aussichtsreicher und teilweise anspruchsvoller Fernwanderweg entlang führt. Kein Fernwanderweg für alte Leute, frequentiert zum grössten Teil von fitten und erstaunlich jungen Fernwanderern. Sie sehen die Tour, die teils durch tiefen Sand und Dünen führt, neben dem Naturerlebnis auch als sportliche Herausforderung. Viele sind mit Zelt und Schlafsack unterwegs und stellen es an den unzähligen schönen Campingplätzen auf, die sich direkt an der Küste aufreihen.
Auch wenn es von den Kilometern her von Villa Nova de Milfontes oder Porto Covo nicht weit ist, sollte ausreichend Zeit für die Anreise an das Kap eingeplant werden, um das Spektakel in seiner gesamten Inszenierung nicht zu verpassen. Auf den schmalen und kurvigen Landstrassen geht es langsam voran. Auch eine Stunde bevor die Sonne im Meer abtaucht, ist es schon schön am Farol do Cabo Sardão, denn dann spiegelt sich die tiefe Sonne mit ihrem Orange in den weissen Kacheln der Leuchtturm Gebäude. Nicht überall zu sehen.
Für die Meisten ist das absolute Highlight einen Sonnenuntergang zu erleben, bei dem ein feuerroter Ball direkt im Meer versinkt. Wahrscheinlich weil es so selten ist, denn dann muss es am Horizont sehr klar sein. In den Sommermonaten ist das selten zu beobachten, zu gesättigt ist die Abendluft durch die hohe Temperaturdifferenz. In der kühleren Jahreszeit, wenn auch ordentlich der Wind fegt, stehen die Chancen deutlich besser. Auf eines muss dann aber fast immer verzichtet werden, auf einen spektakulären Himmel. Ist der klar, gibt es nichts, an dem sich die Sonnenstrahlen brechen könnten.
Um den Sonnenuntergang am Cabo Sardão komfortabel geniessen zu können, wurde von der Gemeinde eine grosse und gepflegte Aussichtsterrasse angelegt. Voll muss es hier den Sommermonaten sein. Im Dezember Einsamkeit, so muss das sein. Nur gegenüber, direkt auf der Klippe des Ponta do Cavaleiro, ist eine kleine Gruppe auszumachen. Dort leitet ein Pfad hinüber, der rund um die Bucht führt. Ist die Sonne im Meer abgetaucht, verlassen üblicherweise die Schaulustigen ihre Sehnsuchtsorte. Ein Anfänger Fehler, denn das Beste wird verpasst. Ist die Sonne hinter dem Horizont verschwunden, beginnt die Dämmerung und nach und nach der Himmel in allen Facetten zu leuchten und glühen.
Unterteilt wird in bürgerliche, nautische und astronomische Dämmerung, definiert durch den Winkel, in dem sich die Sonne unterhalb des wahren Horizonts befindet: 6 / 12 / 18 Grad. Die bürgerliche Dämmerung beginnt, wenn die Sonne vollständig hinter dem geographischen Horizont verschwunden ist. Sie endet ungefähr dann, wenn nichts mehr gelesen werden kann und geht in die nautische über. Diese wiederum endet, wenn der Horizont nicht mehr auszumachen ist. Dann treffen aber Sonnenstrahlen immer noch auf hochfliegende Wolken und lassen sie aufleuchten. Der Leuchtturm liegt während der nautischen Dämmerung als Scherenschnitt, über ihm der Himmel bunt, auf der Klippe. Sunset für anspruchsvolle. Erst wenn es dort oben am Himmel dunkel wird, die Sterne die Bühne betreten, dann herrscht astronomische Nacht. Wer vorher das Cabo Sardão verlässt, verpasst das Gesamtkunstwerk Sonnenuntergang.
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Bildnachweis.
Alle Bilder und Texte © Dr. Ingmar Köhler.