Die Kraft der Sonne – dem Äquator so nah.
Wer das erste Mal nach Fuerteventura reist, wird schon beim Anflug, so er einen Fensterplatz hat, erschrecken: Eine karge, hügelige Insel breitet sich unter ihm aus. Trostlos, kein subtropischer Regenwald mit Wasserfällen, wie sich manch einer erwartet, der dachte, auf den Kanaren sieht es überall so aus wie auf Teneriffa.
Nichts als Wüste, kein einziger Baum ist zu sehen. Viele Fluggäste sind schockiert: Hier also soll die schönste Zeit des Jahres verbracht werden?
Für einen Grossteil der Fuerteventura Neuankömmlinge geht es vom Flugplatz gleich weiter in den Süden der Insel, nach Costa Calma und Jandía. Der anfängliche Schock verfliegt bald, wenn die Fahrt an der Küste entlang führt und sich zur Linken endlose, schneeweisse und goldgelbe Sandstrände mit türkisfarbenem Wasser ausbreiten. Von Playas de las Matas Blancas bis zum Playa del Matoral in Morro Jable zieht sich ein über 30 Km langer, durchgehender Sandstrand. Man kann ihn auch erwandern. Dazu braucht es aber eine solide Kondition, denn jeder Schritt im weichen, feinkörnigen Sand zählt doppelt und nicht zu vergessen, die intensive Sonne.
Die Laune steigt und der Urlauber hat nur noch eines im Sinn: Schnell an den Strand, denn wer weiss, wie lange das traumhafte Wetter anhält. Eine völlig unberechtigte Sorge, denn auf Fuerteventura strahlt pro Jahr an mehr als 300 Tagen die Sonne von einem blitzblauen Himmel.
Mit der Zeit wird der Inselbesucher überrascht sein, dass trotz der Weite und Öde der Insel eine ganz besondere, angenehme Stimmung herrscht: Die Sonne macht es. Wer aus Hamburg kommt, ist nun 25 Breitengrade näher am Äquator, rund 2.800 Km sind das in direkter Nord-Süd Richtung. Die Sonne sticht geradlinig durch die Atmosphäre, legt einen kürzeren Weg zurück und bringt so die Farben strahlend zum Leuchten, erzeugt das surreale Türkis des Wassers oder macht aus den kleinen Palmen Oasen im Inneren der Insel prächtige Farbtupfer, die aus den Erdtönen der Landschaft heraus leuchten.
Besonders am späten Nachmittag werden jene, die einen Blick für das Schöne haben, vom unglaublich warmen und weichen Licht der Sonne begeistert sein, die den Tag herrlich ausklingen lässt. Die Sonne wandert, auch im Inneren der Insel, da sie ausserhalb des Zentralmassivs flach ist, sichtbar bis direkt an den Horizont herunter. Die Landschaft wird von einem Streiflicht, das sich von einem zarten Gelb langsam in ein warmes, intensives Orange verwandelt, bis es ins feurige Rot übergeht, angeleuchtet. Jeden Tag ein Spektakel und wer früh aus den Federn kommt, kann ähnliches auch morgens erleben.
Kristallklare Tage – Sonnenaufgang in drei Akten.
Das Wetter auf den Kanaren wird am intensivsten von zwei Windströmungen geprägt: Dem Nord-Ost Passat und dem Calima, dem heissen, trockenen Wind aus der Sahara.
Der Nord-Ost Passat, der zur Freude der Surfer teils heftig und stetig bläst, beschert der Insel in der kälteren Jahreszeit kristallklare, einzigartige Sonnenaufgänge. Die Luft wird in einer grossen Schaufelbewegung vom Norden im Uhrzeigersinn über die kanarischen Inseln bis an die mexikanische Küste transportiert. Im Winter und Frühling ist der Passat kühl und kann sogar recht ungemütliche Temperaturen auf dem Archipel erzeugen. Herrscht ein strenger, arktischer Winter, gelangen über der Nord-Ost Passat empfindlich kühle Luftströmungen auf die Kanaren.
Der recht unwirtliche, kalte Wind reichert sich, wenn er über den Atlantik streift, kaum mit Feuchte an, keine Luftverschmutzung weit und breit und so erreicht das kanarische Archipel kristallklare, dichte, kompakte Luft. Der Sonnenaufgang präsentiert sich dann an einem makellos reinen Horizont. Alles wirkt zum Greifen nahe und die Sonne erhebt sich, in drei Akten inszeniert, über Fuerteventura.
Am schönsten ist das Schauspiel an mondlosen Nächten, im einsamen und dunklen Malpais*), dort, wo keine Lichtverschmutzung stört, zu beobachten. Der Himmel ist dann pechschwarz, verschwimmt mit dem Malpais. Kein Horizont ist auszumachen, tiefschwarze Nacht. Es ist kühl, der Beobachter fühlt sich wie ein Höhlenmensch, der sehnsüchtig auf die ersten wärmenden Sonnenstrahlen wartet und hofft, dass auch heute die Sonne wieder aufgehen möge. Daran zweifelten unsere Vorfahren immer wieder.
Der erste Akt des Schauspiels beginnt: Erst nur zu erahnen, verwandelt sich das Schwarz des Himmels zu einem tiefdunklen Blau, das immer heller wird, sich langsam über alle Blauabstufungen bewegt und dann in einem leuchtenden Türkis am Himmel stehen bleibt.
Nun beginnt der zweite Akt. Atemberaubend mischt sich ein dunkles, intensives Orange in die Szenerie, das nach und nach in ein helles Gelb fliesst. Wer dieses Spektakel zum ersten Mal sieht, wird sich wundern, wo die Sonne bleibt. Immer heller wird es, die Spannung steigt.
Die Bühne für den Schlussakt ist bereitet. Der dritte Akt beginnt. Plötzlich blitzen die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont und kündigen die Sonne an. Dann kommt sie: Glasklar erhebt sich ein leuchtender Ball in den Himmel. In derselben Sekunde wird es warm, die Kraft ist am Gesicht zu spüren, das Malpais wird mit einem orange-gelben Streiflicht geflutet. Was für ein atemberaubendes und vereinnahmendes Erlebnis!
Kein Besucher Fuerteventuras sollte sich, so er zur richtigen Jahreszeit auf der Insel ist, dieses Spektakel entgehen lassen. Für das frühe Aufstehen wird man reich belohnt. Der fehlende Schlaf lässt sich leicht bei einer spanischen Siesta nachholen.
Wolken über Fuerteventura – der malerische Himmel des feuchten Passat-Windes.
Geht es auf den Sommer zu, steigt die Temperatur des Passatwindes deutlich an. Nur zwei-, dreihundert Meter streift er über den Atlantik und reichert sich so feucht, salzig an. Wunderbare Zutaten, um die Sonnenstrahlen der untergehenden Sonne dramatisch und jeden Tag aufs Neue einzigartige in der Luft zu brechen oder die orangen Strahlen auf den Wolken, gleich einer Leinwand, zu reflektieren.
Trifft der feuchte Passat auf Fuerteventura, steigt er leicht auf, die Luft wird satter, Wolken bilden sich, in ihnen auch Salzkristalle. Sie führen zu Lichtbrechungen, die an manchen Tagen ein Farbenspiel in den Wolken erzeugen, das auf Bildern unwirklich und bearbeitet wirkt. Oft leuchtet auch nur eine einzige Wolke heraus, was den Eindruck verstärkt.
Der Norden der Insel ist gänzlich flach, in Richtung zum Inselinneren finden sich Vulkane die vier, fünfhundert Meter hoch sind und so ziehen die Wolken über die Inseln, streifen filmreif den einen oder anderen „Gipfel“ im Tiefflug und ziehen dann nach Teneriffa oder Gran Canaria weiter, um sich dort an den hohen Bergen zu stauen, weiter aufzusteigen und abzuregnen. In Fuerteventura regnet es dann nur, wenn die Wolken den Bogen über das Zentralmassiv der Insel nehmen, wo der eine oder andere Berg die 800 Meter erreicht.
Fast immer ziehen die Wolken jedoch im Tiefflug über die Insel. Wer zu Sonnenuntergang auf einen der niedrigen Vulkane steigt, steht mit etwas Glück in einem duftig leichten Meer aus gelb-orange-rosa Wolken, die durch ihn durchziehen. Ein Erlebnis wie in einer Traumwelt.
Reflexion in der Atmosphäre – der Saharastaub lässt den Himmel brennen.
Um einen spektakulären Sonnenuntergang zu erleben, müssen Partikel in der Luft sein, die Sonnenstrahlen brechen und reflektiert. Sonst bleibt der Himmel tot.
Dazu eignet sich der Calima, der heisse Wind aus der Sahara, perfekt. Er zieht über die afrikanische Wüste, das ehemalige Spanisch Sahara, nimmt dort Sand und Staub auf, erhitzt sich und stösst mit grosser Windgeschwindigkeit direkt auf Fuerteventura. Die Sahara ist nur etwas mehr als 100 Km Luftlinie entfernt. Sprunghaft steigt dann das Thermometer auf bis zu 45 Grad, das Hygrometer zeigt 0 für die relative Luftfeuchte und auch nachts fällt die Temperatur kaum unter 30 Grad.
Der Himmel ist dann diesig verschleiert, eine drückende, lähmende Hitze liegt über der Insel, das Leben kommt zum Erliegen. Nur wer gar nicht anders kann, arbeitet. Zu Beginn des Calimas herrschen optimale Bedingungen für einzigartige Sonnenuntergänge. Der Himmel im Westen noch klar und die Sonne sinkt am Abend durch die diesige Staub- und Sandschicht in einen klaren westlichen Horizont. So kann sie von unten den Saharastaub anleuchten. Ab und zu scheint dann der Himmel zu brennen.
Der orange Mond – spektakulär.
Zu Sonnenuntergang lässt sich, nur ganz im Norden Fuerteventuras, in der Gegend des Northshores, ein besonderes Spektakel beobachten: Der orange Mond. Dort ist die Insel nur 20 m über Normalnull hoch und westlicher wie östlicher Horizont ist zu sehen. Kein Berg stört.
An Tagen, an denen der Sonnenuntergang mit dem Mondaufgang zusammen fallen und der Horizont im Westen wie Osten klar ist, wird der aufgehende Mond durch die Strahlen der bereits untergegangenen Sonne angeleuchtet. Ergebnis ist ein intensiv oranger Mond, wie ihn wenige Menschen zu Gesicht bekommen.
Wer als Tourist dieses einmalige Schauspiel erleben möchte braucht viel Glück. Die richtige Jahreszeit für klaren Horizont und einen passenden Mond- / Sonnenzyklus. Wer auf Fuerteventura lebt und sich einwenig mit den Himmelsbewegungen beschäftigt, wird öfter die Gelegenheit haben, dieses wunderschöne Naturereignis zu geniessen.
Silhouetten – wenn der Tag endgültig geht.
Im letzten Licht tauchen sie auf, wie Scherenschnitte. Manches wird sichtbar, was am helllichten Tag verborgen bleibt. Scherenschnitte von weit entfernen Containerschiffen, die am Horizont auf ihrer Route nach Lateinamerika vorbei ziehen. Der letzte Kitesurfer, weit draussen, der die verbliebenen Sonnenstrahlen nutzt. Abenteuer in Zweisamkeit mit den Urgewallten der Natur. Ganz auf sich alleine gestellt, ohne Netz aber atemberaubend schön. Das hat seinen Preis.
Geht das Jahr auf Fuerteventura zu Ende, ist die Sonne so weit in den Süden gewandert, dass sich im November der Teide auf Teneriffa, mit seinen 3.718 m der höchste Berg Spaniens, als Silhouette gegen die im Meer versinkende Sonne abzeichnet. Kurz vor der Wintersonnwende taucht im letzten Licht die Silhouette Gran Canarias auf. Weiter wandert die Sonne nicht mehr in den Süden. Ein Sonnenjahr auf Fuerteventura neigt sich dem Ende. Dem naturbegeisterten Menschen wurden hunderte atemberaubende Sonnenauf- und -untergänge geschenkt. Fuerteventura, eine Wüsteninsel, um ihre Schönheit zu entdecken, muss der Besucher etwas genauer hinsehen. Das kann begeistern.
*) Die schwarzen Lavafelder der kanarischen Inseln werden als „Malpais“ – das schlechte Land – bezeichnet.