Auf der Suche nach dem Innersten – Fuerteventura.
Wellen und Wind.
„Daheim“ Dauerregen, kein Sonnenstrahl, kein Wetter, das dem Gemüt gut tut! Hier auf Fuerteventura ist es anders. Der Wind zerrauft die Haare. Endlos der Atlantik. Weite, hereinbrechende Wellen – Urgewalten. Jeden wühlt es hier auf. Die eigene Bedeutung und Wichtigkeit wird erbarmungslos vorgeführt!
Eine staubige Piste zum Punta de Jandía auf Fuerteventura stimmt unbewusst auf das Erlebnis ein. Einen Kilometer vor dem Leuchtturm am Faro de Punta de Jandía liegt Puerto de la Cruz. Ein gewagter Name für eine Handvoll Häuser auf Fuerteventura. Wenige Touristen wagen sich ins Innere dieser Siedlung mit zwei Bars. Irgendwie hat es den Eindruck, der Ort sei verlassen und letztes Rückzugsgebiet alter Freibeuter und Sklavenhändler, in dem niemand seines Lebens sicher wäre. Unheimlich ist es hier. Kein Mensch auf der Straße, keine Straßenlampen, kein Asphalt. Einschüchternd für den Städter.
Wer beherzt in die eng beieinander stehenden Häuser streift, findet die Bar El Caletón. Mit sonnen- und windzerfurchtem Gesicht serviert der Wirt an vier Tischen wortkarg kaltes Bier und brutzelt auf einem kleinen Grill frisch Gefangenes. Hier ist das Leben hart. Die Preise so, dass sie unmöglich irgendeine Art Steuer enthalten könnten. El Caletón ist von den touristischen Hochburgen von Fuerteventura viel zu weit entfernt, als dass sich hier mehr als ein paar Leute hin verirren würde. Von der Terrasse des El Caletón geniesst man wohl einen der atemberaubendsten Sonnenuntergänge, den die Insel zu bieten hat. Wenn in der blauen Stunde der Leuchtturm seinen Dienst aufnimmt, dem Gast der laue Abendpassat um die Nase weht und neben dem Faro de Jandía die Sonne als feuerroter Ball langsam versinkt, dann ist zu fühlen: Puerto de la Cruz ist ein Ort der Freiheit, auch wenn es bitter arm ist.
Weite und Einsamkeit.
Streift man weiter über die Südspitze von Fuerteventura wirkt Punta de Jandía und Puerto de la Cruz richtig belebt. Nocheinmal 20 staubige Kilometer führen über einen Bergpass zu einer Ansammlung von Fischerhäuschen, die Cofete genannt werden. Am Bergpass und dem Aussichtspunkt Degollada de Agua Oveja, eröffnen sich geradezu dramatische Tiefblicke auf die wilde Westküste von Fuerteventura. Die Brandung bricht derart ungestüm und brutal auf die Insel ein, dass sie selbst hunderte Höhenmeter darüber auf der Passhöhe Degollada de Agua Oveja glasklar zu hören ist. Borlavento, die dem Wind zugewandte Seite. Feuchte Passat Wolken stauen sich hier und erzeugen filmreife Lichtstimmungen und setzen den Sandstrand, der sich 14 Kilometer Richtung Norden zieht, in ein mystisches Licht.
Die Piste schraubt sich über endlose Kehren hinab bis an den Strand von Cofete. Wer aus dem Auto steigt, wird von Eindrücken erschlagen. Die Sicht ist diesig. Meterhohe Wellen peitschen an den Strand, die Gischt taucht die Szenerie in ein diffuses, wagnerianisches Bühnenbild. Wer den Strand an einem halbwegs klaren Tag betritt, dem eröffnet der Atlantik durch seine atemberaubende Weite plastisch die Erdkrümmung. Was für ein Schauspiel. Richtung Norden im Dunst der Gischt unendlicher Sandstrand, im Rücken Amphitheater gleich Bergkette und Pass. Es wundert nicht, dass sich um Cofete die wildesten Gerüchte spinnen. Das Flugfeld am Punta de Jandía und die Villa Winter tragen ihren Teil dazu bei. Deutscher U-Boot Hafen und andere Phantastereien kursieren. Es könnte wohl kein ungünstigerer Küstenstreifen gefunden werden, um auf Fuerteventura mit einem U-Boot anzulanden. Seefahrer landen in Sotavento an, der Wind abgewandten Seite.
Der Ort wühlt auf. Er ist immer einsam, ausserhalb der Saison völlig ausgestorben. Ein Spaziergang über den Sandstrand nach Norden gleicht einer beängstigenden Meditation, die das Innerste ausgräbt: Im Westen die unendliche Weite des Atlantik, nach Norden ein Sandstrand, der sich am Horizont verliert, im Osten eine bedrohliche, einengende Bergkette. Die aufgepeitschte Gischt „vernebelt“ den Blick und lässt die Gedanken schweifen. Der Tritt passt sich nach und nach der rhythmisch hereinbrechenden Brandung an. Der Zustand der eigenen Persönlichkeit legt das Befinden fest: Panische Ängste oder euphorische Freiheitsgefühle!
Wer die Kargheit ertragen kann!
Weite und Einsamkeit, karge Landstriche ohne einen einzigen Baum – Fuerteventura: Eine Feuerprobe für gefestigte Menschen oder jene, die es werden wollen. Es gibt Plätze, die sind wie eine bewusstseinserweiternde Droge. Weite, einsame, karge Gegenden, die das Innerste zu Tage fördern. Fuerteventura hat sie. Aber Vorsicht: Man sollte darauf vorbereitet sein, auf diese ungeschminkte Realität.
Fuerteventura hält den Spiegel vor. Nahezu ohne Unterbrechung weht der Passat, die Sonne scheint fast immer. Manche bezeichnen sie als die „stille Insel“ ob ihrer Kargheit und Einsamkeit. Nein, sie ist nicht still – „La musica del viento“ – man muss nur richtig zuhören können. Dann erfährt man viel über sich selber und stellt fest: Hier lebt die Freiheit!