Mitte Oktober – der andalusische Sommer packt seine Koffer am Punta Umbría.
Der andalusische Herbst bezieht Quartier an der Costa de la Luz. Hochsommer für Mitteleuropäer. 29 Grad zur Mittagszeit an der Küste, in Städten wie Sevilla auch mehr. Nur frühmorgens an der Atlantik Küste ist zu spüren, es geht in den Herbst hinein. Die Sonne steht schon tief. An seltenen Tagen, wenn es am Vortag sehr heiss war, kann es spektakulär werden. Dichter Nebel taucht die Küste in eine Traumwelt. Unwirklich, die Umgebung verschwindet im Nichts. Geräusche dringen gedämpft durch die Szenerie und klingen fern. Das Meer flach, keine Welle zu hören, rein gar nichts. Wer beginnt, in das Nichts hinein zu hören, dem spielen die Sinne einen Streich.
Ein Spaziergang am Strand wird zur Passage im Kopf. Der Geist zieht Dinge aus dem Verborgenen, die noch zu Ende gedacht werden sollten. Reduktion macht den Kopf frei. Das kann bedrohlich oder wunderbar sein, hängt von der eigenen Befindlichkeit ab. Ein riskantes Unternehmen, so ein Spaziergang im Nebel. Eigenartig warm gibt sich der Strand. Gar nicht kühl, wie sonst im Nebel. Nichts ist, wie es sein müsste, das gibt zu denken. Über das Leben, eine ungewisse Reise mit bekanntem Ziel.
Mit dem Äquinoktium des 22. September, stellen die atlantischen Winde merkbar ihre Mechanik um. Die Energie der Sonne, dem Motor der thermischen Passatwinde, geht die Kraft aus. Dann schlafen gelegentlich die Winde ein oder werden so schwach, dass sie die Morgenfeuchte nicht mehr verblasen können. Die Arbeit muss dann die hochstehende Sonne erledigen. Gegen Mittag putzt sie die Nebelfelder weg und der Himmel wird dann so stahlblau, wie im Sommer nie gesehen. Das Leben strahlt, mit beiden Beinen fest am Sand. Die Gedanken bleiben.
Punta Umbría, wieder einmal die Ingleses – la historia.
Eigenartige Holzhäuser ducken sich in den Windschatten der Dünen des Playa del Calé. Das passt so gar nicht nach Andalusien, Dänemark ja, aber an der Costa de la Luz? Relikte der Briten, sie machten die herrlichen Strände des Punta Umbría im 19. Jhd. zu ihrem Wochenendsitz.
Als die industrielle Revolution des Empires eine neue Weltordnung anstiess, waren Rohstoffe auf der kargen Insel knapp. Das Interesse an den nicht fernen Minas de Río Tinto in Andalusien wuchs. Río Tinto, der gefärbte Fluss. Wer ihn das erste Mal sieht, wird erstaunt sein. Dunkelrot, ganz natürlich, fliesst er Richtung Atlantik, um sich dort im Flussdelta am Punta Umbría mit dem Odiel zu vereinen und in den Atlantik zu münden. Er entspringt in einem Gebiet, das reich an Schwefel und Kupfer ist. Am Atlantik ist von seiner intensiv roten Farbe im Quellgebiet nichts mehr zu sehen.
In der Bronzezeit erlangte das einsame und entlegene Gebiet in der Nähe Aracenas seine erste Bedeutung. Erst unter den Römern, wurden die Rohstoffquellen in grösserem Stil für die Waffenproduktion ausgebeutet. Die Almohaden, die ihnen folgten, waren am Schwefel und Kupfer nur in geringem Umfang interessiert, um daraus medizinische Tinkturen herzustellen. So geriet das Gebiet nach der Reconquista in Vergessenheit. Erst 1725 wurden die Minen, die ursprünglich „Peña del Hierro“ genannt wurden, wieder aktiv ausgebeutet. Der Schwede Liebert Wolters Vonsiohielm erwarb die Schürfrechte vom spanischen Staat und betrieb den Bergbau zusammen mit seinem Neffen und einem spanischen Partner. 1783 fielen die Rechte an den spanischen Staat zurück und damit begann der Bergbau brach zu liegen. Spanien war wieder einmal mit Kriegen beschäftigt.
Im späten 19 Jhd. versuchte der spanische Staat die Schürfrechte erfolglos zu versteigern. Der Abtransport der Erze war in grossem Stil einfach nicht möglich. So erwarb am 14. Februar 1873 ein internationales Konsortium als „Riotinto Company Limited“ (RTCL), bestehend u.a. aus den Finanzmagnaten Matheson, Rothschild und Goldschmidt, sowie der Deutschen Nationalbank (damals mit Sitz in Bremen), die Schürfrechte. Schnell wurde von der in diesen Dingen erfahrenen britischen Kolonialmacht das Logistikproblem gelöst. In nur zwei Jahren entstand beginnend 1875 ein „ferrocarril“, eine Bahnlinie in die Provinzhauptstadt Huelva am Golf von Cádiz, samt einer eigenen Mole, der „Muelle de Riotinto“. So konnte kostengünstig und schnell ins Empire und die ganze Welt verschifft werden. Riotinto, das bis dahin nur mühsam aus Sevilla über Aracena und Campofrío über holprige Karrenwege zu erreichen war, hatte Anschluss an die Welt gefunden und dank der Briten auch bald ein Casino in Aracena.
Von Huelva sind es kaum zehn Kilometer über den Wasserweg an die herrlichen Strände des Punta Umbría. Über den Río Odiel waren sie direkt von der Muelle de Riotinto zu erreichen, auf dem heute Ausflugsschiffe vom Punta Umbría Touristen nach Huelva transportieren. Die Briten beschlossen, an den Stränden der Hitze des Minengebietes zu entfliehen. Im Sommer herrscht dort Windstille, Temperaturen von 40 Grad sind an der Tagesordnung. Was die Briten hinterliessen, sind die „casas de los ingleses“, die heute wie eigenartige Fremdkörper am Strand und im Ort zu finden sind.
Punta Umbría ist von regem Sommertourismus geprägt, heute eine Domain der Spanier. Ausserhalb der Saison wird es sehr ruhig. Der Fischfang gibt dann wieder den Takt an. Mit 190 Fischerbooten und 4.800 t p.a. Fang, die angelandet werden, ist sie eine der grössten Flotten der Provinz. Wegen ihres Fischreichtums, vor allem dem begehrten Roten Thun (s.u.), war die Costa de la Luz bereits in der Zeit der Phönizier eine umkämpfte Region und wichtiger Protein Lieferant. Systematisch erschlossen wurde die Küste in Zeiten der Römer, wie Funde am Cabo de Trafalgar (s.u.), Cádiz und eben am Punta Umbría zeigen. Tempel, Thermen und „factorías de salazones“ wurden in Grabungen entdeckt. Letztere dienten dem Pökeln des Fanges, das bis zur Entwicklung der Konserve (s.u.), neben einlegen in Olivenöl, die einzige Art der Konservierung war.
Durch dichten Nebel zum Espigón de Punta Umbría.
Frühmorgens, der Playa del Calé, der Strand des Zigeuners, liegt in dichtem Nebel. Fünfzig Meter, weiter ist nicht zu sehen. Zehn Kilometer feinster Sandstrand zieht sich von der Laguna de El Portil bis zum Espigón de Punta Umbría, eine Spitze, die den Punta Umbría markant zum Golf von Cádiz hin abschliesst. Im Norden des Ortes Punta Umbría, am Playa del Calé, liegen die Hotels. Das nördlichste breitet sich unaufdringlich und flach hinter den Dünen und zwischen Pinienwäldern aus. Harmonisch in die Landschaft gebaut, verschwindet es im Morgennebel.
Fischer müssen früh aus den Federn. Bevor sich der erste Urlauber im Hotelbett umdreht, haben sie in der morgendlichen Dämmerung des Playa del Calé bereits ihren Platz am Strand bezogen. Man kennt sich. Angeln ist Volkssport in Spanien. Eine Jahreskarte muss für wenige Euro gelöst werden und das wars. Wenige tun das. Kontrolliert wird ohnedies nicht und überhaupt, der Fisch gehört allen, der kommt abends auf den Tisch. Das ist Tradition. Geredet wird nicht viel, Köder an die Angel, die langen Routen weit in das flache Wasser auswerfen und dann warten. Lange warten. Eine eigenartige Beschäftigung, es heisst wohl, mit Geduld gesegnet zu sein. Für nervöse Menschen ist das scheinbar nichts, oder eben gerade doch?
Eine Parade von Anglern wird passiert, die Aufstellung genommen hat. Die eigenartigen gelben Bojen, die am Strand herumliegen und nur bei hohem Wasser schwimmen, markieren, wo geangelt werden darf. In Spanien ist alles geregelt. Vier Kilometer sind es, bis zum Espigón de Punta Umbría, das geht in die Beine, im tiefen Sand. Also los.
Die Gruppe der Angler wurde im Norden zurückgelassen. Nun ist der Nebelgänger einsam unterwegs. Kein Mensch weit und breit. Gelegentlich taucht eine einsame Angelrute im Nebel auf, Sonnenschirme, die verloren wirken. Aus dem Nichts kommend und verschwindend, zieht ein Sportler seine Spur am Strand. Das ferne Ziel irgendwo dort vorne im Nebel. Monotonie stellt sich ein, die Schritte werden rhythmischer. Ein Nebelfilm auf der Haut entspannt, macht sie seidenglatt, Gedanken beginnen zu ziehen.
Vom Espigón de Punta Umbría hinauf zur Avenida de la Marina.
Der Espigón de Punta Umbría ist erreicht, der Spitz, der das sandige Finale des Odiel Flussdeltas formt. Schwemmland, von beiden Seiten, vom Atlantik wie vom Fluss. Die sumpfigen marismas, die Salzwiesen, reichen hinauf bis Huelva. Ihre Salzpflanzen waren einst wichtiger Rohstoff, um Kali, Soda und mehr zu gewinnen (s.u.). Heute sind sie u.a. als Paraje Natural Marismas del Odiel geschützt und ein beliebtes Ziel der Ornithologen.
Über den sandigen espigón und dann wieder festen Boden unter den Füssen. Es geht auf die C. Almte. Pérez de Guzmán hinauf in den Ort. Auf die Guzmanes (s.u. Conil de la Frontera) wird von der Isla Cristina bis Tarifa überall gestossen. Eines der ältesten spanischen Adelsgeschlechter, einflussreich, vermögend und zentrale Figuren in der Reconquista. Einer der ihren wurde später sogar Kommandant der spanischen Armada, eine der Töchter mit dem portugiesischen König verheiratet. Das „Almte.“ verrät es, die Abkürzung für almirante (Admiral). Das Dorf schläft noch, off-season, Erholung nach einer harten Saison. Die in den Häusern gespeicherte Wärme kondensiert den Nebel. Es nieselt. Glitschig wie Seife wird der Paseo. Die feinen Nebeltröpfchen aus der salzigen Atlantikluft ergeben ein rutschiges Gemisch, das Rennradfahrern schnell zum Verhängnis werden kann.
Einen Sprung in den Ort und den Hügel hinauf zum Wehrturm Torre Almenara. Auch dort liegt noch alles in dichtem Nebel. Das Kreuz auf der Kuppel der kleinen Capilla Nuestra Señora de Lourdes, verschwindet bereits in den Nebelschwaden.
Zurück am Odiel, ganz im Norden des Ortes, auf der Avenida de la Mar. Avenida, eine etwas übertriebe Bezeichnung für den paseo. Dort liegt die Yacimiento Romano de El Eucaliptal, eine römische Ausgrabung, die nicht weiter auffällt und auch nichts als einige Mauerreste zu bieten hat. Verwahrlost, nicht beschildert, wird sie kaum beachtet. Fischerboote reihen sich im Nebel des kleinen Sandstrandes auf, die nicht sehr seetüchtig wirken.
Am Fluss ankern solidere Exemplare. Obwohl der Odiel an dieser Stelle nur 250 Meter breit ist, wird das gegenüberliegende Ufer der Isla de Saltes nicht ausgemacht. Über den Salzwiesen des Paraje Natural Marismas del Odiel liegt noch der dichte Morgennebel.
Im Fischerhafen – Muelle de la Cofradía.
Es geht in den Vormittag hinein. Bewegung kommt in die Nebelsuppe. Zu spüren, irgendwo dort oben wo es heller wird, arbeitet die Sonnen daran, den Nebel aufzulösen. Leichter Wind kommt auf, kurz werden blaue Löcher in die Wolkendecke gerissen, dann wieder kaum Sicht. Ein fantastisches Bild.
Im Fischerhafen an der Muelle de la Cofradía, liegen bunte Fangkäfige bereit, die vor der Küste versenkt werden. Markiert werden sie mit Fähnchen an langen Stangen. Die Mole der Bruderschaft, cofradía, so nennen sich in Spanien die Fischerreigenossenschaften. Am Hafen wird durch sie meist ein Direktverkauf, in dem preiswert Fangfrisches zu kaufen ist und ein einfaches Lokal, in dem pescado a la plancha, Fisch vom heissen Blech, serviert wird, betrieben. Einfach aber gut.
Still ist es im Hafen, nichts weisst darauf hin, dass es hier bald hektisch zur Sache gehen wird. Die Sonne bricht langsam durch, es heisst warten. Dann laufen die ersten Fischerkutter den Odiel hinauf, die von hunderten Möwen begleitet werden. Beim Löschen der Fracht stürzen sie sich waghalsig auf die Decks, um bequem einen Fisch abzubekommen. Die Flugkünste sind beeindruckend. Die jungen einjährigen Möwen, leicht auszumachen weil noch grau gescheckt, dürfen noch nicht mitmachen. Es herrscht Futterneid. Sie müssen sich mit alten Fischen auf der Mole begnügen. Tiere sind nicht so nett, wie gerne verbreitet.
Das Anlaufen der Kutter folgt einem Reglement. In einem grossen Bogen wird die Mole passiert, der Skipper meldet sich an. Dann nimmt er am Fluss Aufstellung und wartet, bis er zum Löschen des Fangs an die Reihe kommt. Die ersten Kutter sind entladen. Es wird turbulent in der Halle der cofradía. Hektische Rufe dringen nach draussen. Die Versteigerung des Fangs ist in vollem Gang. Kühltransporter fahren vor, die Logistikkette läuft an.
Gegenüber der Cofradía – der Mercado Municipal.
Gegenüber der Muelle de la Cofradía, liegt der Mercado Municipal, der städtische Markt. Dort lässt sich ein Teil des frisch angelandeten Fangs kaufen. Ein Paradies für alle, die Seafood lieben.
Auch im Zeitalter der Supermärkte, ist die liebste Form des Einkaufs des Spaniers, ob in Barcelona (s.u.), Sevilla (s.o.) oder in Las Palmas der Gran Canaria (s.u.), immer noch der klassische mercado. Frischware aus dem Meer, vom Feld oder dem Schlachthof aus der Region werden geboten. Eingekauft wird mit dem Trolley beim Händler des Vertrauens. Der Einkauf wird ausgiebig besprochen und ergibt sich je nach Angebot. Ein geplantes Abarbeiten einer Einkaufsliste ist so gar nicht die Sache des Spaniers. Bei all den Köstlichkeiten kommt Hunger auf. Man trifft sich dann an einem der vielen Imbisse, zu einem tapa, einem Gläschen, einem Café. Einkaufen braucht Zeit in Spanien. Ausser in Valencia und Barcelona, scheint es in Spanien niemand so richtig eilig zu haben.
Vuelta – zurück über den Strand.
Vuelta, vom Mercado Municipal geht es wieder zurück. Die ersten Fischer treffen sich in den einfachen Bars an der Strasse der Muelle de la Cofradía, um nach der Arbeit draussen am Meer zu plaudern, Deftiges zu essen und nicht wenig zu trinken, bevor es zur Siesta geht.
Entlang des Odiel auf der C. Almte. Pérez de Guzmán Richtung espigón. Die Sonne hat Kraft gewonnen und führt einen spektakulären Zweikampf mit dem Nebel, der sich schon deutlich gehoben hat. Im Gegenlicht, die Sonne im Gesicht, geht es Richtung Playa de Punta Umbría.
Im Osten liegt die Isla de Saltes, deren Ufer langsam auszumachen sind. Schnellziehender Nebel, dann grosse blitzblaue Löcher in der weissen Front. Die marismas leuchten grün über den Fluss. Und dann doch nichts, wieder dichter Nebel. Am besten auf einer der Bänke am paseo Platz nehmen und das Schauspiel geniessen.
Am Playa de Punta Umbría geht es hinauf nach Nordwesten Richtung Laguna de El Portil zum Playa de Calé. Die wenigen Hochhäuser am Strand liegen noch im Nebel und ganz weit im Norden, jenseits der Laguna de El Portil, steht eine Wolkenwand über der Isla Cristina. Bis sie sich aufgelöst hat, dauert es noch. Die Urlauber stört das nicht. Der Spanier kommt erst gegen Mittag an den Strand. Bis dahin blitzt die Sonne, die schon merklich Kraft gewonnen hat. Wind kommt auf, das Wasser ist nicht mehr flach, leichte Brandung läuft an. Atlantik.
Zehn Kilometer feinster Sandstrand liegen vor dem Strandwanderer und das ist nur ein Teil der wunderbaren Costa de la Luz. Ob in der intensiven Sonne oder im dichten Nebel, immer ist es schön an der Küste des Lichtes. Ihre unterschiedlichen Gesichter sollten erkundet werden, denn die vermitteln nachhaltige Eindrücke. Die Weite und Einsamkeit, das intensive wechselnde Licht, die atlantischen Winde und Wellen, die salzige Brise auf der Haut, das ist ein Erlebnis. Gehen beflügelt den Geist. Davon waren die griechischen Philosophen überzeugt. Im dichten Morgennebel der Costa de la Luz ist das jedenfalls so. Dort wird das Gehen zu einer Passage im Kopf.
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El Hierro – Nachricht vom Ende der Welt.
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Schlemmen Las Palmas – Mercado del Puerto und seine Geschichte.
Genusstempel in Barcelona: Mercat de la Boquería + Sant Antoni.