Cabo de São Vicente – der südwestlichste Punkt Europas, Ende der Welt.
Das Cabo de São Vicente zieht seinen touristischen Reiz aus der Lage. Der Tourist sucht gerne Superlative auf und so weilt er sich am südwestlichsten Kap Europas, das ebenso einmal als Ende der Welt galt. Beides stimmt nicht.
Das Cabo de São Vicente ist der südwestlichste Punkt kontinental Europas. Der südwestlichste Punkt Europas, ist jedoch das kaum bekannte und unscheinbare La Restinga auf El Hierro. Aber diese einsame Insel im Atlantik, die kaum 40 tsd. Touristen pro Jahr besuchen, ist auch heute noch für Mitteleuropäer nur aufwändig zu erreichen. So ist La Restinga und El Hierro etwas für jene, die sehr Ursprüngliches suchen und komplizierte Anreisen nicht scheuen.
Als Ende der Welt mögen das Cabo de São Vicente vielleicht die Keltiberer gesehen haben, so sie Gedanken daran verschwendet haben. Wohl eher nicht. Eine spirituelle Bedeutung muss es für sie aber jedenfalls gehabt haben, denn sie errichteten dort unzählige Menhire. Phönizier, die ihnen folgten, sahen im Kap auch eine gewisse spirituelle Bedeutung, aber das Ende der Welt war es für sie nicht. Der Horizont der Phönizier und Nubier, war schon ein viel weiterer. Gut 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung, passierte Pharao Necao II (* 610 v. Chr. – † 595 v. Chr.) mit einer Expedition die noch unbesiedelten kanarischen Inseln. Hundert Jahre nach ihm um 450 v. Chr., segelte der Phönizier Hanno der Seefahrer, die Kanaren passierend und wohl auch betretend, nach Westafrika hinunter. Er führte detaillierte Aufzeichnungen, deren Überlieferung jedoch nicht in vollen Umfang als authentisch angesehen werden können. Dem Griechen Claudius Ptolemäus, müssen die primären Aufzeichnungen Hannos aber zugänglich gewesen sein. Er legte zur Kartographierung seines antiken Weltbildes den Nullmeridian, mit verblüffender Exaktheit, durch den Punta de Orchilla auf El Hierro, das er als Ende der bekannten Welt im Westen definierte. Verblüffend nicht nur wegen der treffsicheren Verortung, sondern auch, weil Ptolemäus niemals die Kanaren besucht hatte. Und der Nullmeridian blieb am Punta de Orchilla, von der Antike hinein in die Neuzeit, bis er von Greenwich abgelöst wurde. Und so trägt auch heute noch die Kanareninsel El Hierro mit stolz den Namen „Meridianinsel“. Die spannende Geschichte ist unter „Längengrad Null – die Meridian Insel El Hierro.“ nachzulesen. (s.u.)
Spektakulär ist das Cabo de São Vicente jedoch alle mal. Nicht umsonst hatte es durch alle Epochen hinweg eine spirituelle Bedeutung. Nach den Keltiberern und Phöniziern, gab die römisch-katholische Kirche dem Kap eine Bedeutung und seinen heutigen Namen. Der Mythos ist immer das Gleiche, ob es um eine Klippe auf den Kanaren geht oder diese hier: Irgendetwas Heiliges wurde dort angespült. In diesem Fall soll es der Leichnam des Heiligen Vinzenz von Saragossa, einem Schutzpatron der Seefahrer, gewesen sein. Als der dort antrieb, war er natürlich noch nicht heilig, ein gemeiner Christenmensch, besser dessen Überreste. Auch das exakte Jahr ist der römisch-katholischen Kirche bekannt: 304 soll es gewesen sein. Geht es um Gräueltaten in Neuspanien, ist das Erinnerungsvermögen der römisch-katholischen Kirche wie ausgelöscht.
Der Farol do Cabo de São Vicente ist schnell besichtigt. Imposant ja, aber der Weltreisende wird befinden, da hat er schon ganz anderes gesehen. Leuchttürme sind Zweckbauten und wenn, wirken sie nur durch ihre herausragende Lage. Also ein Bild anfertigen und dann hinein in den Innenhof des Farol do Cabo de São Vicente. Die sind meist versperrt, weil es nichts zu sehen gibt. Hier ist er offen, da er ein Restaurant beherbergt. Also wieder raus. Draussen warten einige Verkaufsstände mit Strickwaren, die vielleicht portugiesischer Herkunft sind und eine Hot Dog Bude. Bevor Langeweile aufkommt, treibt der Tour Guide seine Touristenherde wieder zurück in den Bus, um die nächsten Verkaufsstände anzusteuern.
Weiter zum Ponta dos Arquizes – atemberaubend schön.
Wer nun aufgibt und auch in sein Auto, Van, Rad oder sonst etwas ein oder aufsteigt, der macht einen schweren Fehler. Die eigentliche Attraktion ist nicht der Leuchtturm, sondern die bis zu 70 Meter hohe Steilküste und deren Buchten. Hier endet die südliche Algarve und die ist von faszinierender Schönheit, mit ihren steilen Klippen, die immer wieder einsame sandige Buchten bereit halten, die teils nur schwer ohne Boot zu erreichen sind. Aufmerksamen werden am Cabo de São Vicente grün-blaue Markierungen bemerken.
Die grün-blauen Markierungen weisen die Rota Vincentina aus, ein spektakulärer Fernwanderweg, der zu den schönsten Europas zählt. Von imposanten Eindrücken geprägt, beginnt er in Lagos und führt immer entlang der Klippen in den Norden hinauf. Der Start in Lagos wartet gleich mit einem Naturwunder auf, der Ponta da Piedade. Das motiviert, am anspruchsvollen Weg durchzuhalten, denn es folgen noch viele Naturjuwelen, die den Wanderer zum Schwärmen bringen werden. Etappen der Rota Vincentina, hat ¡Viva España! als Trailrun zum Nachlaufen dokumentiert (s.u.).
Der ¡Viva España! Leser sollte den Markierungen der Rota Vincentina ein Stück nach Norden folgen, denn dort wartet ein Kap und eine Bucht, die Leuchtturm und Cabo de São Vicente in den Schatten stellen werden und das, in fast völliger Einsamkeit. Durchstreift wird der Parque Natural do Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina. Erwähnenswert ist, dass 30% der Fläche Portugals zum Naturschutzgebiet erklärt wurde.
Nach kurzer Wegstrecke, taucht an der Küste der Pedra das Gaviotas, der Mövenfelsen, auf, der als exakt 56 m hoher Felsbrocken trotzig im wilden Atlantik steht. Der wird ihn irgendwann zu Fall bringen. Wer vom Innenhof des Farol do Cabo de São Vicente auf den Atlantik hinaus blickte, dem sollte im Norden bereits dieser markante Felsen aufgefallen sein.
Den Ausblick von den Klippen zum Pedra das Gaviotas geniessen. Er trägt auf seinem Haupt eine grüne Matte aus Salzpflanzen, Halophyten, auf der vor Räubern geschützt Möwen brüten. Weiter nach Norden einen kleinen Hügel hinauf und ist der Scheitelpunkt erreicht, liegt es plötzlich vor dem Wanderer: Das Kap Ponta dos Arquizes. In Google Maps ist es nicht markiert und es sollte sich auch niemand hervortun, das nachzuholen. Bereits der Blick vom Hügel ist phänomenal. Die Bucht, die das Kap ausformt, ist mächtig. Ein kleiner Sandstrand lässt sich ausmachen. Der Wunsch kommt auf, zu ihm abzusteigen. Die Südflanke sieht vielversprechend aus. Unten angekommen, erweist sie sich als Sackgasse. Gut zehn brüchige Höhenmeter Klippe, trennen den Entdecker vom Strand. Also wieder hinauf und andere Wege suchen.
Zum landseitigen Ende der Bucht. Da lässt sich eine stabile Klippe ausmachen. Schon aus der Weite werden zur Überraschung einige Kletterer ausgemacht, die sich an den Felswänden üben. Später ist zu sehen, hier wurden Bohrhaken gesetzt.
Ein Pfad lässt sich zu den Sportkletterern ausmachen. Es sieht vielversprechend aus, dass der ganz nach unten führen könnte. Also hinunter und die Hartnäckigkeit wird belohnt: Es geht steil und rutschig zum Strand hinunter. Gute Trailrunning Schuhe mit Grip, sind nun von Vorteil. Der Abstieg erweist sich als spektakulär, nicht technisch, sondern von den Eindrücken her. Die Gischt der massiven Brandung wird durch die Geländekerbe nach oben getrieben. Das Meerwasser kondensiert auf der Haut, Treibhausklima, alles ist grün. Was für ein Gegensatz zur kargen Hochebene. Ein Mikroklima lässt hier alles spriessen und selbst Ende Oktober blühen. Was für Eindrücke.
Eine letzte kleine Klippe wird erreicht und der Blick auf den kleinen Strand, die mächtige Bucht und die imposanten Klippen wird frei gegeben. Sie sind rund 50 Meter hoch.
Eine Pfadspur führt durch zwei kleine Felsen zum Strand hinunter. Kein Fussabdruck, kein angeschwemmter Plastikmüll, raubt dem Strand heute seine Jungfräulichkeit. Vielleicht sollte er wenigstens heute so bleiben. Nicht überall muss die Anwesenheit markiert werden. Auf die Wiese setzen, auch wenn sie nass ist und die imposante Bucht geniessen. Ein Meisterwerk der Natur.
Zur rechten Blicke auf die interessanten Felsformationen, aus sicherer Entfernung, denn einiges ist wie die gesamte Algarve sehr brüchig und instabil. Das lässt die pittoresken Formen entstehen, die so in den Bann ziehen.
Den ganzen Tag könnte hier gesessen werden, auch wenn es feucht schwül, richtig nass ist. Ein letzter Blick auf den kleinen schönen namenlosen Strand, die namenlose Bucht. Vielleicht ist es gut, dass sie keinen Namen tragen. So bleibt das hier vor der oberflächlichen Masse der Social Media Süchtigen verschont, die nur ein Foto suchen, um sich am Markplatz der Belanglosen und Zwerge hervorzutun. Wieder auf den Klippen, führt ein Pfad bis hinaus auf den Ponta dos Arquizes, auf dem noch gemütlich hinüber gewandert werden kann. Das war alles wunderbar. Auf zu neuen Entdeckungen an der Algarve.
Weiter Lesen.
Längengrad Null – die Meridian Insel El Hierro.
El Hierro – Nachricht vom Ende der Welt.
Trailrunning Algarve – von Luz über den Trilho dos Pescadores zum Ponta da Piedade.
Trailrunning Algarve: Von Luz über die Rota Vincentina nach Burgau. (demnächst, November 2022)
Merkenswerte Links.
Offizielle Seite des Rota Vincentina.
Bildnachweis.
Bilder: © Dr. Ingmar Köhler.